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Zur Epistemologie der Mathematik in Schule und Geschichte und ihr Verhältnis zu den Naturwissenschaften

 

Das Verständnis von Mathematik und Naturwissenschaften hat sich im Laufe ihrer Geschichte grundlegend gewandelt. Jahrhundertelang sollte eine mathematische Theorie - nach dem Vorbild der von Euklid 300 v. Chr. entwickelten „Elemente“ (der Geometrie) - axiomatisch-deduktiv aufgebaut sein, von unbezweifelbaren, evidenten Grundsätzen (Axiomen) ausgehen, und die Begriffe sollten klare Beschreibungen der Objekte der Theorie sein. Die Sätze der Euklidischen Geometrie galten als ewige Wahrheiten, die selbstverständlich auch uneren physikalischen Raum zutreffend beschreiben. Noch Kant sah die Euklidische Geometrie als eine Bedingung an, die überhaupt erst Erfahrung ermöglicht. - Gemäß dem modernen, von Hilbert (1899) geprägten Verständnis einer mathematischen Theorie ist diese zwar ebenfalls axiomatisch-deduktiv aufgebaut, aber die Begriffe besitzen keine Referenzobjekte sondern sind Variable, und die Axiome machen keine Aussagen über die Realität (sondern sind Aussageformen). - Naturwissenschaftlichen Einzelwissenschaften gab es in der Antike noch nicht, sondern eine Naturphilosophie. Deren Grundlagen waren Begriffsanalysen und -definitionen, also philosophische Betrachtungen und nicht experimentelle Untersuchungen wie heute. Die „philosophiae naturalis“ wurde von Aristoteles daher auch als eine theoretische Wissenschaft bezeichnet. Erst im 17. und 18. Jahrhundert begann sich das neuzeitliche Verständnis von Naturwissenschaften herauszubilden: Die Naturwissenschaften sind experimentelle Wissenschaften, deren Sprache die Mathematik ist.

In verschiedenen didaktischen Untersuchungen wurde gezeigt, dass die Auffassungen von bestimmten Gebieten der Mathematik und der Naturwissenschaften, die Schülerinnen und Schüler im Unterricht erwerben, Ähnlichkeiten zu historischen Auffassungen besitzen. Es scheint so etwas wie eine „gesetzmäßige Entwicklung“ der Aufassung von Mathematik zu geben. Sowohl Unteruschungen der Geschichte der Mathematik als auch des schulischen Unterrichtes zeigen, dass zu Beginn dieser Entwicklung Mathematik eng mit den Naturwissenschaften verbunden ist. Erst im Laufe der Zeit löst die Mathematik ihre „ontologischen Bindungen und wird eine selbständige Wissenschaft. 

Ziel des Projektes ist es, diese Entwicklung nachzuzeichnen und für die Vermittlung von Mathematik und den Naturwissenschaften fruchtbar zu machen. Zur Darstellung und Rekonstruktion von sowohl historischen als auch Alltags- und Schülertheorien werden auch wissenschaftstheoretische Methoden benutzt, insbesondere solche des neuen Strukturalismus (Moulines, Balzer, Sneed, Stegmüller). Didaktische Probleme werden auf diese Weise zum einen auf zwei verschiedenen Ebenen identifizierbar (der historischen und der indiviuell-kognitionspsychologischen) und zum anderen in einer formalen Darstellung diskutierbar. Insbesondere wird das Verhältnis von Mathematik zu den Naturwissenschaften präzise beschreibbar.